Slow, Fresh Fount
Audioinstallation mit Gesang nach dem Gedicht „Slow, Slow, Fresh Fount“ des englischen Poeten Ben Jonson, vertont von William Horsley und überarbeitet von der Künstlerin
Im Kunsthaus Graz erklingt zeitweilig der Klagegesang, der auch im Bergwerk Altaussee, dem uralten historischen Ort des Salzabbaus, zu hören ist. Während einer kurzen Phase zum Ende des Krieges war dort eine von mehreren Stätten der nationalsozialistischen Raubkunstlager. Das gleiche Klagelied aus dem 16. Jahrhundert ertönt am Ufer des legendenumwobenen Toplitzsees. Die Nymphe Echo beklagt ihre Zurückweisung durch Narziss und weint salzige Tränen.
IM TAL
Ein mystischer See am Ende des Tals. Hier entspringt die Traun und durchzieht den 100 Meter tiefen Toplitzsee. Er ist fast vollständig von steilen Felswänden des Toten Gebirges umschlossen. Der Vordernbach stürzt über den Teufelsgraben als Wasserfall hinab. Der Hinterbach tut es ihm gleich. Wasserfälle und ein unterirdischer Zufluss vom Kammersee speisen das Gewässer. Ab 20 m Tiefe ist der See sauerstofflos. Viele abgestürzte Bäume bilden ein gefährliches Taucherrevier, das bereits einige Menschenleben gekostet hat. Das stille Wasser ist mithin etwas unheimlich und wirkt zutiefst romantisch.
Erzherzog Johann hatte hier 1819 seine große Liebe kennengelernt, die bürgerliche Anna Plochl aus Ausssee, und spätere Gräfin von Meran. Eine Geschichte zu schön, um sie zu erfinden. Aber die Tiefe des Sees offenbart verschiedene Gesichter und weitere Legenden kommen hinzu. Den Nationalsozialisten wurde nachgesagt, sie hätten Schätze im See versenkt. Das taten sie auch, nur war es kein Gold wie bei den Nibelungen, sondern es handelte sich um Druckplatten für englische Pfundnoten und verbliebenes Falschgeld der Operation Bernhard. Eine der größten staatlichen Geldfälscheraktionen der Geschichte sollte das britische Königreich wirtschaftlich ruinieren. Die perfekten Blüten waren von KZ-Häftlingen in Sachsenhausen mit Hilfe von professionellen Geldfälschern angefertigt worden. Zu Kriegszeiten1943-1945 wurden am Toplitzsee ebenfalls waffentechnische Versuche der deutschen Kriegsmarine durchgeführt.
IN DEN BERGEN
Ab Januar 1945 verwahrte der Salzberg, tief unten im Kaiser-Franz-Josef-Werk und im Kammergrafen-Werk, nicht nur das wertvolle Salz, sondern auch unschätzbare Kunstgüter, die im nie gebauten Führermuseum in Linz Verwendung finden sollten. Eine Inventarliste nennt 6577 Gemälde, 954 Grafiken, bis zu 1700 Bücherkisten und Pakete, Skulpturen, Körbe und hunderte weiterer Kisten. Die Stollen waren Ende 1944 trotz akutem Material- und Holzmangel ausgebaut und abgestützt worden. Es handelte sich um Bestände der Wiener Museen, „arisierten“ Privatbesitz und Raubkunst aus ganz Europa. Zu letzteren gehörten unersetzliche Werke wie der Genter Altar der Gebrüder van Eyck, Michelangelos Brügger Madonna, Gemälde von Rembrandt, Breughel und vielen anderen. Experten waren mit der Betreuung und Inventarisierung betraut. Das gleichbleibende Klima war ungeachtet der skrupellosen Räuberei optimal für die Gemälde, Blätter und Objekte.
Kurz vor seinem Selbstmord gab Hitler am 19. März 1945 mit dem berüchtigten Nero-Befehl einen Freibrief aus zur völligen Zerstörung des Dritten Reiches. Dem wollte der Linzer NS-Gauleiter August Eigruber Folge leisten und befahl am 13. April 1945 alliierte Blindgänger-Fliegerbomben in den Salzstock zu schaffen. Bergarbeiter sabotierten die baldigst zu erwartende Zerstörung, auch aus Sorge um ihre Arbeitsstätte. In einer dramatischen Nachtaktion vom 3. auf den 4. Mai 1945 schafften sie die Bomben aus den Stollen heraus und sprengten nur den Zugang in die Luft.
ÜBER DIE ARBEIT VON SUSAN PHILIPSZ
Stimme, Klang, Gesang, Töne und ihre Umgebungen sind das skulpturale Material von Susan Philipsz, die damit arbeitet, Räume durch Klang zu definieren.
Ihre Installationen stellen Verbindungen zu dem Ort her, an dem sie zu hören sind, und geben dem oftmals geschichtlichen Liedern oder Klängen einen neuen Kontext. Eingehende Recherchen zu musikalischen, literarischen und historischen Vorlagen transformiert Philipsz mit technischen Mehrspurverfahren zu neuen Klangstücken. Sie setzt einerseits ihre ungelernte Gesangstimme ein wie in Münster mit einem Lied zu E.T.A. Hoffmann, The Lost Reflection, 2007, oder in Glasgow, ihrer Heimatstadt, wo sie 2010 die Hohlräume unter drei Brücken über den Clyde mit Gesangspartituren klanglich aktiviert.
In Kassel zerlegt sie 2012 andererseits die Studie für Streichorchester von Pavel Haas in Klangsequenzen. Haas’ Komposition entstand ursprünglich 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt, ging in der Originalpartitur verloren und wurde später rekonstruiert. Philipsz verteilt die Tonspuren der einzelnen Instrumente auf sieben Lautsprecher am Ende der Bahngleise des Kasseler Hauptbahnhofs. Dieser Ort ist Ausgangspunkt für viele Deportationszüge in die Vernichtungslager gewesen. Die neuen Klänge sind Bruchstücke der Partitur und mischen sich unter die Tagesgeräusche der Umgebung. Sie aktivieren so die eigene Vorstellungskraft wie das kollektive Gedächtnis und vermitteln eine geschärfte Aufmerksamkeit für den Ort. Susan Philipsz‘ „Kunst zielt auf einen Punkt, wo Musik zu einem ungreifbaren, skulpturalen Material wird – oder ein Material, das oft melancholisch, aber nie dogmatisch, auf abwesende Körper, fehlende Dinge verweist.“1
Im Bergwerk der Saline Altaussee, dem uralten historischen Ort des Salzabbaus und während einer kurzen Phase eine von mehreren Stätten der nationalsozialistischen Raubkunstlager, will Susan Philipsz ein zweistimmiges Klagelied aus dem Jahr 1601 ertönen lassen, das mit einer klanggleichen Installation an einem See im Ausseerland korrespondiert.
–––––
1 Her art, at any rate, sits at a point where music becomes a kind of intangible sculptural material – or a material that points, often melancholically but not dogmatically, to absent bodies, absent objects. Martin Herbert: „String Theories. On Susan Philipsz“, in: Ders.: The Uncertainty Principle. Berlin 2014.